Fundstücke aus der Asservatenkammer der Brüder Grimm


Die Dramatik in Märchen entsteht oft durch strafrechtlich relevante Handlungen.

FUNDSTÜCKE AUS DER ASSERVATENKAMMER DER BRÜDER GRIMM schien mir deshalb ein brauchbarer Arbeitstitel für eine Materialsammlung, die Gegenstände zusammenbringt, in denen sich „märchenhaft“ Straftaten manifestieren.

Nehmen wir zum Beispiel, das vermutlich allseits bekannte „TISCHLEIN DECK DICH“: da ist zunächst die lügnerische Ziege – die vorgibt satt zu sein, um sich dann später zu beschweren:“Wovon soll ich satt sein, ich sprang nur über Gräbelein und fand kein einzig Blättelein, meh, meh!“ Das ist versuchter Betrug in mindestens drei Fällen nach §263 des STGB.
Auf Grund ihrer Verleumdung, der Vater denkt ja, die Söhne hätten die Ziege vernachlässigt, werden die drei Söhne vom Vater, mit der Elle verprügelt und aus dem Haus getrieben. Dabei handelt es sich um gefährliche Körperverletzung mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs – § 224 Absatz 2.

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Als der Vater die Lügenhaftigkeit der Ziege erkennt, rasiert er sie und jagt sie unter Schlägen davon. – Tierquälerei!.
Der habgierige Wirt begeht mit dem Austausch von Tisch und Goldesel Unterschlagung und Betrug. Der dritte Bruder, der Drechslergeselle, der den Knüppel im Sack als Lohn von seinem Meister erhalten hat, macht sich mehrfach der schweren Körperverletzung schuldig: er läßt ja jeden verprügeln, der ihm nicht gefällt – zuletzt auch den Wirt, auf dessen Rücken er den Knüppel tanzen läßt, bis dieser die gestohlenen Sachen herausgibt – wir finden das zwar gerecht – trotzdem ist es ein klarer Fall von Nötigung.

DIE SECHS SCHWÄNE handeln von Nötigung, übler Nachrede und Kindesentziehung.
Bei ALLERLEIRAUH haben wir es wieder mit Tierquälerei großen Stils zu tun: sämtliche Tiere des Reiches müssen ein Stück Fell für den Mantel der Prinzessin opfern. Die Vermählung des Vaters mit der Tochter – der Inzest – war in der ersten Ausgabe der Märchen noch ganz deutlich zu erkennen, Allerleihrauh spricht vom König als ihrem Bräutigam. – in den folgenden Auflagen wurden einige Dinge familienfreundlich geglättet, so ist es zum Beispiel in der ersten Ausgabe der Märchen die Mutter selbst, die Schneewittchen nach dem Leben trachtet – später wurde daraus die böse Stiefmutter.

Und übrigens, die Brüder Jacob und Wilhelm Grimm waren von Hause aus Juristen. Als Jura-Studenten in Marburg wurden sie durch ihren Professor Carl von Savigny angeregt sich mit der geschichtlichen Entwicklung deutschsprachiger Literatur zu befassen. Die Bekanntschaft mit Achim von Arnim und Clemens Brentano führte dazu, dass sie mit der Sammlung und Aufzeichnung von Volksmärchen begannen.
Erst vor kurzem fand ich einen Text über:„Juristische Strukturen in Märchen“, von Uwe Diedrichsen, der meinen spontanen Eindruck bestätigte: „Aus keinem anderen Fach – gleichgültig ob wir nun die Medizin, die Theologie oder irgendein Handwerk zum Vergleich heranziehen – haben die Brüder Grimm mehr Stoffe und Motive als aus der Jurisprudenz herbeigeholt.“

Damit will ich nicht behaupten, dass dies die wichtigste Lesart bei der Beschäftigung mit Märchen ist. Ich muss auch gestehen, dass ich nicht allen Märchen mit gleicher Begeisterung folge. Oft stolpere ich über Niedlichkeiten, die vielen Häuschen, Kleidchen, Löffelchen, ärgere mich über moralische Belehrungen und manchmal langweile ich mich auch. – Aber dann bin ich auch wieder angerührt und hingerissen von wunderbaren Sätzen und den Bildern, die sie in mir erzeugen – wie das der nachgetragenen Liebe der jungen Kaufmannstocher im SINGENDEN SPRINGENDEN LÖWENECKERCHEN, die sieben Jahre ihrem Liebsten folgt, um ihn zu erlösen und dann zusehen muss, wie er mit einer anderen loszieht, ohne sich umzusehen – und wie sie beschließt ‚so weit zu gehen als der Wind weht‘ um ihn zurückzugewinnen oder der Weisheit des Kindes, das mit der Kröte seine Milchsuppe teilt und ihr sagt, als sie nur Milch schlürfen und keine Brotbrocken essen will: „Ding iss auch Brocken!“

Leisten für einen Siebenmeilenstiefel . Foto R. Erhard

Allerleirauh . Objektkasten . Foto R. Erhard

Der Teufel mit den 3 goldenen Haaren . Foto R. Erhard --

Die zertanzten Schuhe . Foto R. Erhard

Das singende, springende Löweneckerchen . Foto R. ErhardFoto R. Erhard-

Die Gänsemagd . Kürtchens Hütchen . Foto R.Erhard

Die zertanzten Schuhe . Ausschnitt

Die sechs Schwäne . Foto R. Erhard

Das Märchen von der Unke . Foto R. Erhard

Diverse Schlüssel . verschied. Herkunft . Foto R. Erhard--

Tischlein deck dich . Foto R. Erhard


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